Auch die Kunstwelt gehorcht den Gesetzen des Marktes – insbesondere dann, wenn mit Kunstwerken hohe Erträge generiert werden können. Zu den Gesetzen jedes Marktes gehört allerdings auch, dass es Marktteilnehmer gibt, die sich nicht an die Gesetze halten, die den Markt regulieren. Kriminalität ist insofern ein Bestandteil der Marktwirtschaft, sie ist deren langer Schatten. Auch die Herstellung von und der Handel mit schönen Dingen wirft solche Schatten, der Kunstmarkt belegt dies regelmäßig.

Das Buch „Kunst und Verbrechen“ von Stefan Koldehoff und Tobias Timm nimmt sich der Spielarten dieser Kriminalität im globalen Kunstmarkt an. Von Raubzügen in Museen, einer weit verbreiteten Kultur der Fälschung, den systematischen Raubgrabungen bis hin zu sammelnden Diktatoren, den neuen Protagonisten wie Kunstanlageberatern oder der Geldwäschepraxis mit Spitzenkunst sind die wesentlichen Fallbeispiele zusammengetragen. Man kennt sie aus der Presse: Beltracchi, Achenbach, Goldmünzen raubende Berliner Clans, die nicht nur Schuhe sammelnde Imelda Marcos usw. 

Journalistisch geschrieben, konzentriert sich das Buch zu sehr auf die Fälle, zu wenig auf ein Nachdenken über die zugrundeliegende Komplexität der Beweggründe und deren historische Entwicklung. Diese Spielart kriminellen Verhaltens ist nicht alleine über die Kunst in den Fängen einer ungehemmten sozialen und ökonomischen Kapitalisierung und narzisstisch geprägter Protagonisten erklärbar.

Vertiefende Einblicke verschafft der Band „Kunstfälschung, das betrügliche Objekt der Begierde“ des Kunsthistorikers Hubertus Butin. Der Autor entwickelt in seinem Buch eine systemische Perspektive, die er anhand der Protagonisten und ihrer der geschichtlichen Entwicklung unterworfenen Rollen in der Kunst umfangreich darstellt.

Neben der ausführlichen Klärung der Begrifflichkeiten und weit in die Geschichte zurückreichenden Praxis des Fälschens, Kopierens oder Verfälschens und den damit zusammenhängenden Konzepten der Echtheit und des Originals findet sich je ein Kapitel zu den relevanten Positionen des Systems Kunstmarkt. Als dessen Bestandteile werden Fälscher, Sammler, Spekulanten, der Handel, Gutachter und Sachverständige, die Verantwortlichen in den Museen, die Medien sowie die Künstler selbst eingehend betrachtet.

Die ungeheure Attraktivität der Kunst und der allgemeine Wunsch nach Teilhabe an deren überzeitlichen Bedeutungsversprechen lassen sich als wichtige Treiber der Kunstfälschung identifizieren. Beides wird inzwischen für nahezu jeden wirtschaftlichen Bereich von Produktion und Dienstleistung genutzt und ist ebenfalls breiter Bestandteil des medialen Geschehens.

Auch die Künstler befördern diesen Sachverhalt. Sie profitieren von der Zuschreibung an ihr Schaffen, das sinnerfüllend außerhalb der marktlichen Dimensionen zu stehen scheint. So hat die „begehrte Aura des Kreativen […] unsere bürgerliche Gesellschaft stärker affiziert als jemals zuvor, und darin liegt einer der Hauptgründe des Kunstbooms der Gegenwart“ (Seite 106).

Ein Boom, an dem alle vorgenannten Protagonisten teilnehmen, wenn auch mit unterschiedlicher Motivation. Insbesondere die zunehmende Anzahl ökonomisch orientierter Sammler und die damit verbundene Wandlung der Kunstwerke zu in ihrem Wertsteigerungspotential bewertbaren Anlageobjekten erweist sich als wichtiges Momentum des Kunstbetrugs. Der, hat er einmal stattgefunden und wurde bemerkt, ist einem System der Verschleierung unterworfen: In den heiß gelaufenen Märkten mit starker öffentlicher Beachtung bezüglich der Sujets und Transaktionen wird oftmals eine Aufklärung des Sachverhalts von keinem der beteiligten Akteure gewünscht.

Begleitet wird die Entwicklung von einem wichtigen kulturellen Diskurs, der sich auf das Begriffspaar wahr/falsch bezieht und mit dem die Kunst seit der Antike inhaltlich verbunden ist. Neben Aspekten der Darstellung und deren Ausführung bezieht sich dieser Diskurs auch auf den Aspekt der „Echtheit“ eines Werks hinsichtlich des Urhebers – eine Vorstellung, die in den kunstinhärenten Diskursen seit den 20er Jahren bis heute regelmäßig zur Debatte steht und als Konzept auch echte „unechte“ Werke hervorbringen kann (Readymade, Appropriation Art). Der Autor bezieht sich hier explizit auf Debatten der Postmoderne und die Skepsis mancher wichtiger Vertreter gegenüber einer subjektbezogenen Urheberschaft, die in der Kunst reflektiert wird und in die Kunstproduktion mit hineingenommen wurde und konträr zu dem vom Markt idealisierten Künstlerbild steht. Eine Aktualisierung dieses Kunstdiskurses findet man aktuell bei manchen Experimenten mit malender KI.

Für den Autor ist der Unterschied zwischen echt oder falsch nicht marginal. Fälscher fälschen mit den Werken auch Bedeutung, vorsätzlich und aus ökonomischen Gründen. Darum handelt es sich bei Kunstfälschung, wie bei jedem reichweitenstarken Fake, um kein Kavaliersdelikt, sondern um eine Verfälschung einer verbindlichen gemeinsamen Deutungsversion.

Butin bezieht sich hierbei auf den Philosophen Nelson Goodman. Ein zur Vermeidung der Verfälschung solcher Deutungsversionen geeignetes Mittel wird anhand des Beispiels von Gerhard Richter und dessen Werkverzeichnissen aufgezeigt, die Original von Fälschung unterscheiden helfen. Die Historisierung in Echtzeit – solche Verzeichnisse wurden vormals ex post im Kontext der kunsthistorischen Forschung angelegt –  scheint ein wichtiges Werkzeug zur Abgrenzung von Original und Fälschung in der Gegenwartskunst zu werden, weshalb zu einer erfolgreichen Produktion echter Werke unabdingbar die begleitende eigene Verwaltung gehören könnte, die das „Hauptbuch“ der Werke führt. Die Ökonomisierung der Kunst wäre damit allerdings perfekt geworden.

Kunst und Verbrechen
Stefan Koldehoff und Tobias Timm
2020 Galiani Berlin
ISBN 978-3-86971-176-8

Kunstfälschung – 
Das betrügliche Objekt der Begierde

Hubertus Butin
2020 Suhrkamp Verlag Berlin
ISBN 978-3-518-42911-2